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Aus aktuellem Anlass: Krankenhaus und Seuchengeschichte

Die Empfehlung „Sozialkontakte“ nach Möglichkeit auszusetzen, Ausgangsbeschränkungen, weitgehende Einschränkungen der Versammlungsfreiheit, Beschneidung und Modifikationen selbst der Parlamente – Covid-19 führt weltweit zu einem shut-down des öffentlichen Lebens, wie er keinem selbst unserer ältesten Zeitgenossen noch erinnerlich ist.

Gleichwohl handelt es sich um ein historisch in allen Jahrhunderten bekanntes Phänomen.

Plötzlich massenhaft auftretende Erkrankungen mit zahlreichen Todesfällen versetzten die Menschen seit jeher in Angst und Schrecken. Auch wenn sich die medizinischen Erklärungen vielfach und bis heute laufend ändern, bleibt doch das Muster, dass Menschen Menschen gefährden – „social distancing“ ist ein sehr altes Phänomen!

Die sozialethischen Grundsätze aller Religionen und Gesellschaftsformationen geradezu auf den Kopf stellend, galten und gelten in Seuchenzeiten die Gesunden, noch-nicht-Erkrankten, als die vor den ansteckenden Erkrankten zu schützenden.

Die Seuchengeschichte lässt insbesondere auf die Geschichte der Hospitäler und Krankenhäuser blicken. Die Idee, dass für Arme und Kranke eigene, nur ihnen vorbehaltene Räume, ja eigene Häuser zu errichten seien, um sie räumlich getrennt vom öffentlichen Leben zu versorgen, gehört zur Grundausstattung der Quarantäne-Idee, auch wenn diese sich zu Beginn der Neuzeit vorerst auf Waren, und erst im Laufe des 16. Jahrhunderts auch auf Menschen bezog.

Es sticht ins Auge, wie derzeit eine besonders günstige Situation in der Bundesrepublik auf Grund der hohen Verfügbarkeit von Krankenhäusern und Krankenhausbetten pro Kopf der Bevölkerung charakterisiert wird. Vom infrastrukturellen Hauptvorhaben der Gesundheitspolitik der letzten 25 Jahre, die Zahl der Häuser und der Betten signifikant zu reduzieren, ist plötzlich keine Rede mehr. Und diese Politik war erfolgreich: seit Mitte der 1990er Jahre wurde die Bettenzahl in Deutschland um etwa 75.000 Betten zurück gelichtet.

Ergänzend zu unserer Linkliste verweisen wir im Folgenden auf eine Sammlung von Beiträgen zur Seuchengeschichte im Internet, die Sie gut aus der häuslichen Quarantäne studieren können.

Corona verstehen

Der Sozialmediziner David Klemperer hat sein "Lehrbuch Sozialmedizin - Public Health & Gesundheitswissenachaften um einen aktuellen Abschnitt "Corona verstehen" ergänzt.

Notlazarett und Gesundheitsarchitektur

"Wir brauchen zukunftsfähige Krankenhäuser, die auch in pandemischen Zeiten funktionieren", sagt die Architektin Christine Nickl-Weller. (aus: Gerhard Matzig, Süddeutsche Zeitung vom 2. April 2020)

Wie man sich bettet

In einem Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 15. April berichtet Rainer Stadler von der am 6. März bekannt gewordenen Schließung eines Krankenhauses im Saarland. Eine für den 12. März angekündigte öffentliche Aussprache konnte wegen der Versammlungsverbote schon nicht mehr stattfinden.

Wichtige Debatte über Krankenhausstruktur sollte nicht Opfer der Pandemie werden

Prof. Dr. med. Reinhard Busse vom Fachgebiet Management im Gesundheitswesen (TU Berlin) stellt fest: "Die Corona-Krise hat bestimmte Schwächen unseres Krankenhaussystems sichtbar gemacht.“

Corona ist wirklich nicht die Pest!

Der Stuttgarter Medizinhistoriker Martin Dinges beleuchtet den Gang der und die Berichterstattung über die Corona-Epidemie vor dem Hintergrund der reichen europäischen Seuchenerfahrungen. Offenbar haben wir verlernt, mit Unsicherheit umzugehen.

„Das ist ein gigantisches Experiment“

Der Erlanger Medizinhistoriker Karl-Heinz Leven betrachtet das Besondere an der aktuellen Corona-Epidemie im Lichte der Seuchengeschichte. Sein Fazit: „Ein Gramm Gehirn ersetzt 100 Liter Sterillium.“

Guy Geltner: Getting Medieval on COVID? The Risks of Periodizing Public Health

Der niederländische Mediävist Guy Geltner fragt in einem famosen Essay mit vielen Verweisen auf die Situation in den USA nach der Rolle der mittelalterlichen Geschichte in der aktuellen Debatte. Und er warnt: „Returning to our immediate past may no longer be an option. Yet however we choose to move on, it does not involve either getting medieval or becoming modern. We were never either.“

Außerdem: Guy Geltner: Calling Some Public Health Initiatives “Medieval” is Harmful 

Mit Foucault die Pandemie verstehen?

Der Zürcher Historiker Philipp Sarasin erläutert die Gedanken des – nicht zuletzt in der Krankenhausgeschichte viel zitierten – französischen Philosophen Michel Foucault (1926-1984) über den Zusammenhang von Seuchenpolitik mit gesellschaftlichen, politischen und Herrschaftsmodellen.

Wir sollten uns keiner Illusion hingeben

Auch nach dem neuen Lockdown wird die Pandemie nicht ausgestanden sein, sagt der Arzt und Philosoph Cornelius Borck. Er plädiert für einen anderen Umgang mit dem Virus.

Warum Diagnosen zu historischen Todesfällen problematisch sind

Die Erlanger Medizinhistorikerin Nadine Metzger warnt davor, heute gültige medizinische Konzepte zu nutzen, um die Lebenswirklichkeit historischer Todesfälle zu beurteilen. Vorsicht ist davor geboten, unsere Konzepte von Medizin über eine historische Auffassung zu stellen, weil wir sie für besser oder richtiger halten. Wenn Forschende in einen Überheblichkeitsduktus geraten, sei eine objektive Einordnung nicht möglich.

Wissenschaften in Zeiten der Pandemie

In der Interviewserie „Wissenschaften in Zeiten der Pandemie“ des Leopoldina-Zentrums für Wissenschaftsforschung (LZfW) spricht der Wissenschaftsjournalist Jan-Martin Wiarda mit renommierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Sie berichten dabei aus Sicht ihrer aktuellen Forschung.

Self and Society in the Corona Crisis

An der Universität Luxemburg ist ein größeres interdisziplinäres Projekt publiziert worden, das sich mit den Perspektiven der Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften auf die "Corona-Krise" befasst. In unserem Zusammenhang ist das Kapitel zur Seuchengeschichte von besonderem Interesse. Es umfasst die Beiträge:

Seuchengeschichte in Zeiten von Covid-19

Auf der Homepage des Fachverbands Medizingeschichte finden Sie eine laufend aktualisierte Sammlung mit Links und Informationen zur Seuchengeschichte.

Covid-19 & History - Deutsches Medizinhistorisches Museum Ingolstadt

Das Deutsche Medizinhistorische Museum konnte - pünktlich zum "Internationalen Museumstag" - am 17. Mai endlich seine Pforten wieder öffnen! Während der Schließung hat das Museum unter dem Motto "Jeden Tag ein Objekt" eine faszinierende online-Galerie mit 60 medizinhistorischen Objekten und deren Geschichten aus der Feder von 27 Kolleg*innen aus 15 Städten und drei Ländern wachsen lassen. Eine Auswahl davon hat sich die Süddeutsche Zeitung angesehen. Beginnend mit "richtig Husten" über "Kommunikation", "Schutzkleidung" und "social distancing" bis zu "Impfen", "Heilmitteln" und "Beten" kommt keines der Schlagworte dieser Epidemie zu kurz: auch dem Feiern sind drei Einträge gewidmet!

Seuchengeschichte

Das Institut für Geschichte und Ethik der Medizin an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf hat eine spannende Bibliothek zur Seuchengeschichte zusammengestellt.

GWMT zu Covid-19

Die Gesellschaft für Geschichte der Wissenschaften, der Medizin und der Technik e. V. (GWMT) ist die wichtigste Vereinigung von Forschenden in diesen Bereichen im deutschsprachigen Raum und hat nun ihrerseits eine Seite mit Informationen zu Perspektiven der Wissenschafts-, Medizin- und Technikgeschichte zusammen gestellt.

Forum COVID-19: Geistes- und sozialwissenschaftliche Perspektiven, in: NTM Zeitschrift für Geschichte der Wissenschaften, Technik und Medizin

NTM ist die größte Zeitschrift für Wissenschafts-, Technik- und Medizingeschichte im deutschen Sprachraum und hat in einem Sonderteil auf die Pandemie reagiert.

WZB - Corona und die gesellschaftlichen Folgen

Das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung hat sich in den letzten Wochen intensiv mit der sozialwissenschaftlichen Analyse der aktuellen Situation befasst. Darunter auch ein Digitales Kolloquium "Soziologische Perspektiven auf die Corona-Krise" mit Vorträgen von renommierten Vortragenden, in die Sie sich live zuschalten können und die anschließend als podcast veröffentlicht werden.

 

Epidemien in Geschichte und Gegenwart
Mit zwei Dossiers zum Thema werden Epidemien in Geschichte und Gegenwart in lesenswerten historischen und kulturwissenschaftlichen Essays beleuchtet. Zum einen bietet Epidemien. Kulturwissenschaftliche Ansichten Artikel zu den maßgeblichen Kategorien "Zeit", "Raum"  und "(Un-)Sichtbarkeit"; zum anderen das Dossier Religion und Verschwörungstheoirien in Zeiten der Corona-Epidemie - Beiträge zu Deutungskonzepten von Epidemien zwischen Religion, Verschwörungstheorie und Wissenschaft.

Viral. Les multiples vies du covid-19

An der Universität Lausanne ist eine tolle Website aufgesetzt worden, die eine Verbindung herstellt zwischen Vergangenheit und Gegenwart der Seuche, und heute schon dabei behilflich ist, über die Zukunft unserer Gesellschaft nachzudenken.

Forum: Corona-Lektüre

Geschichtswissenschaften und die Corona-Pandemie
Die moderierte Informations- und Kommunikationsplattform für Historikerinnen und Historiker H-Soz-Kult sammelt und publiziert einschlägige Nachrichten.

Fritz Dross: Rezension zu: Contagion. Historical Views of Diseases and Epidemics

in: H-Soz-Kult, 29.02.2020
Verweist und erläutert die umfangreiche „virtual collection: Contagion“ mit tausenden von Texten und Bildern zur Geschichte ansteckender Krankheiten der Harvard Library.

Seuchen. Aus Politik und Zeitgeschichte (APUZ) 20-21/2015

Die Beilage zur Wochenzeitschrift „Das Parlament“, herausgegeben von der Bundeszentrale für politische Bildung, hat im Jahr 2015 ein Heft zum Thema publiziert. In unserem Zusammenhang von besonderem Interesse ist der historische Überblick von Malte Thießen über „Infizierte Gesellschaften: Sozial- und Kulturgeschichte von Seuchen“ »

Beyond Covid-19

Eine Gruppe europäischer Sozial- und Kulturwissenschaftler*innen hat eine Bibliographie mit - überwiegend französischsprachiger - wissenschaftlicher Literatur zusammengestellt und kommentiert, die in der Regel im open access zugänglich ist. Die Gruppe ist offen und freut sich über Mitarbeit »

Digitale Sammlung Medizingeschichte, Seuchen bzw. Epidemie

Die Deutsche Zentralbibliothek für Medizin (ZB MED) – Informationszentrum Lebenswissenschaften versteht sich als zentrale lebenswissenschaftliche Informationsinfrastruktur für Deutschland und Europa. Mit diesen Links starten Sie eine Abfrage mit dem Suchwort "Seuche" bzw. "Epidemie"

Die Geschichte der Infektionskrankheiten

Der Erlanger Medizinhistoriker Karl-Heinz Leven stellt seine 1997 publizierte „Geschichte der Infektionskrankheiten. Von der Antike bis ins 20. Jahrhundert“ auf seiner homepage zum download zur Verfügung.

Learning from Corona

Ein Blog der "Health Care Communication Design" Forschungsgruppe in Bern untersucht Fragen der Visualisierung und der Veränderungen der Zeichensprache in der Öffentlichkeit bis hin zur Farbgebung auf Intensivstationen.

Seuchen: Ursprung, Ursachen, Bekämpfung

Aus der 3. Auflage seines Gesamtüberblicks "Geschichte der Medizin. Von der Antike bis zur Gegenwart“ stellt der Erlanger Medizinhistoriker Karl-Heinz Leven das Kapitel zur Seuchengeschichte zum download zur Verfügung.

John Henderson: Florence Under Siege. Surviving Plague in an Early Modern City: Yale University Press, 2019

Zu den großen Unterschieden zwischen dem spätmittelalterlichen/frühneuzeitlichen Umgang mit der „Pest“ und unserer aktuellen Situation gehört die große Erfahrung, die insbesondere frühneuzeitliche Gesellschaften mit der Situation hatten. Die städtischen Gesellschaften der Frühen Neuzeit sind Gesellschaften von Überlebenden der Pest. Der beste Kenner der Florentiner Verhältnisse hat im letzten Jahr sein Buch „Surviving Plague“ publiziert. Der Verlag hat inzwischen das Kapitel 8: Surviving Plague zur freien Lektüre angeboten.

Fritz Dross, Marion Maria Ruisinger: "Krisenzeiten: Pest, Lepra und ihre Patrone" (PDF)

in: Marion Maria Ruisinger (Hg.), Heilige und Heilkunst, Ingolstadt 2009, S. 23-37.
Für einen Ausstellungskatalog des Deutschen Medizinhistorischen Museums Ingolstadt hat dessen Leiterin Marion M. Ruisinger gemeinsam mit Fritz Dross einen Artikel zu den speziell in Seuchenzeiten angesprochenen Heiligen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit verfasst.

Jakob und Katrin Moeller: Pandemien und Sterblichkeitskrisen in der Geschichte Halles (1579 bis
2018)

in: Preprints und Working Paper, hrsg. vom Historischen Datenzentrum Sachsen-Anhalt, Halle
Einen hervorragenden Überblick über die Möglichkeiten der historischen Demographie am Beispiel der Stadt Halle geben Jakob und Katrin Moeller.

Fritz Dross: „Seuchen in der frühneuzeitlichen Stadt" (PDF)

in: Susanne Greiter, Christine Zengerle (Hg.), Ingolstadt in Bewegung. Grenzgänge am Beginn der Reformation, Göttingen: Optimus 2015, S. 303-324.
Der Aufsatz erläutert den Umgang mit den regelmäßig auftretenden Pestzügen des 16. Jahrhunderts am Beispiel der Stadt Nürnberg.

Fritz Dross: „Ich aber will hinaus spatziern, da ich frisch, frey und sicher bin (PDF)“

In dem Aufsatz wird der Umgang mit den durch die Stadtmauer getrennten inner- und vorstädtischen Räumen in der städtischen Seuchenpolitik des 16. und 17. Jahrhunderts untersucht.

Grippe-Pandemien

Speziell zu den verschiedenen Grippe-Pandemien seit der sogenannten „Spanischen Grippe“, die zuletzt häufiger als „Blaupause“ der aktuellen Ereignisse erwähnt wird, finden sich mehrere gut zugängliche Artikel und Podcasts:

Die Spanische Grippe - Medizin in der Weimarer Republik

Der erste Weltkrieg geht seinem Ende entgegen, als die bis heute schlimmste Pandemie die Menschheit heimsucht: die Spanische Grippe. Die Zahl der Todesopfer ist unvorstellbar und monströs. Gespräch mit dem Historiker und Arzt Wilfried Witte (Podcast).

Das große Sterben

Auf der Grundlage eines Interviews mit Wilfried Witte hat Sebastian Schneider einen lesenswerten Beitrag über die sogenannte "Spanische Grippe" (die mutmaßlich aus Nordamerika den Weg über die Welt angetreten hat) für den rbb verfasst, der speziell auf die Situation in Berlin eingeht. Verlinkt ist dort auch ein Interview mit Florian Bruns zum Thema "Pandemien - historisch gesehen".

Die Welt ist an den Massentod gewöhnt … Die "Spanische Grippe" 1918

Über die Video-Plattform der Friedrich-Alexander-Universität ist ein Vortrag des Erlanger Medizinhistorikers Karl-Heinz Leven zugänglich, in dem die Grippeepidemie zum Ende des Ersten Weltkriegs erläutert und in den historischen Kontext eingebettet wird.

Eckard Michels: "Die „Spanische Grippe“ 1918/19

Verlauf, Folgen und Deutungen in Deutschland im Kontext des Ersten Weltkriegs, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 2010, Nr. 1.

Wilfried Witte: "Die Grippe-Pandemie in der medizinischen Debatte"

in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 29 (2006), S. 5-20.

Wilfried Witte: "Das Virus und die Toten – Zugangswege zur Geschichte der Spanischen Grippe"

in: Schweizerische Ärztezeitung / Bulletin des médecins suisses / Bolletino dei medici svizzeri 91 (2010), Nr. 21, S. 827-829.

Wilfried Witte: "Die Grippepandemie 1968–1970: Strategien der Krisenbewältigung im getrennten Deutschland. „Wodka und Himbeertee“"

in: Deutsche Medizinische Wochenschrift 136 (2011), Nr. 51/52, S. 2664-2668.

Wilfried Witte: "Pandemie ohne Drama. Die Grippeschutzimpfung zur Zeit der Asiatischen Grippe in Deutschland"

in: Medizinhistorisches Journal 48 (2013), S. 34-66.

David Rengeling: Vom geduldigen Ausharren zur allumfassenden Prävention. Grippe-Pandemien im Spiegel von Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit

Baden-Baden: Nomos 2017.

Deutsche Gesellschaft für
Krankenhausgeschichte e.V.

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